Forschergruppe "Anfänge (in) der Moderne"
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Workshop "Postcolonial Studies: Inventur und Invention" (16.12.2006)

Samstag, 16. Dezember 2006

IBZ, Amalienstraße 38, 80799 München

Workshop

Postcolonial Studies: Inventur und Invention

Koordination: Tobias Döring, Annegret Heitmann, Martin Hose

Programm:

9:15-9:30 Einführung

9:30-10:45 Graham Huggan (Postcolonial Studies, Leeds): Perspectives on Postcolonial Europe

10:45-11:15 Kaffeepause

11:15-12:30 Ulla Haselstein (Amerikanistik, FU Berlin): Die Transnationalismus-Debatte

12:30-14:30 Mittagspause

14:30-15:30 Martin Hose (Klassische Philologie, LMU/Forschergruppe): Braucht man Kolonien für Postcolonial Studies?

15:30-16:00 Kaffeepause

16:00-17:00 Joachim Schiedermair (Nordische Philologie, LMU): Maroon. Sklaverei und Ursprung an Beispielen skandinavischer Literatur

17:00-17:30 Abschlussdiskussion

Die Veranstaltung ist öffentlich, die Teilnahme kostenlos.

In seinem letzten Buch Freud and the Non-European (2003) schrieb Edward W. Said darüber, wie die Archäologie als Wissenschaft der Anfangssuche ein Inventar des Vergangenen anbietet, das oftmals in den Dienst aktueller Machtansprüche, kultureller Landnahme und politischer Selbsterfindungen gestellt wird. Dagegen setzte er Freuds archäologische Lektüre in Der Mann Moses, die eine komplexe Konstellation freigelegt habe, in der jüdische Identität nicht mit sich selbst, sondern mit anderen Identitäten anfange und so dauerhaft an deren Vorgaben gebunden bleibe, dass sie sich politischer Verfügungsmacht entzieht. Das Widerspiel von Selbst- und Fremd-begründungsakten, von Bestandsaufnahme mit beständigem Bedarf an Neuverhandlung, von Finden und Erfinden, Inventur und Invention, das sich an diesem Beispiel u.a. zeigt, hat Said fast dreißig Jahre zuvor in Beginnings: Intention and Method (1975) bereits auf der Ebene von Texten untersucht, die, wie beispielsweise der Roman, die Intention des Anfangens zur eigenen Methode machen. Hier zeige allerdings die Freud-Lektüre, dass der Anfang von erklärten Gründungstexten wie der Traumdeutung diesen immer schon vorausliegt und allenfalls durch nachträgliche Deutungs- und Umdeutungsakte eingeholt werden kann: “A beginning intention, therefore, is in constant need of reworking”.

Solch einem Prozess des Umarbeitens will dieser Workshop jetzt die Postcolonial Studies unterziehen und danach fragen, was für Aussichten diese spezielle Forschungsperspektive für weitere historische und kulturelle Felder bieten könnte, die bislang eher nicht in ihrem Fokus standen. Seit Saids viel zitierter Studie Orientalism (1978), die als Gründungstext der Postcolonial Studies gilt, hat sich die Aufmerksamkeit zumeist auf die Kulturen – vormals – kolonialer Länder gerichtet, um deren Selbst-/Repräsentationen im Kontext widerstreitender Vorgaben und Vorbilder zu erkunden. Dabei stand insbesondere das Inventar an diskursiven Formen, Formeln und Klischees im Zentrum, mit denen imperiale Beobachter traditionell ihre Fremderfahrungen beschrieben und die daher in kulturellen Selbsterfindungsakten postkolonialer Autoren kritisch aufgegriffen oder umgeschrieben, damit aber gleichwohl fort-geschrieben worden sind. Erst mit den Arbeiten von Homi K. Bhabha hat sich in den '90er Jahren das Forschungsinteresse auch der Postcolonial Studies zunehmend auf Figuren des Dritten verschoben, auf Aushandlungen oder Artikulationen also, die zwischen kulturellen Frontlinien stattfinden und dort einen Raum ausmessen, der nicht länger maßgeblich durch inventarisierte Formen eines Überlieferten bestimmt ist, sondern die Frage nach der Invention des Neuen neu zu stellen erlaubt.

“How newness enters the world”: so hat Salman Rushdie diese Frage schon 1988 in The Satanic Verses formuliert, und Bhabha hat sie 1994 in The Location of Culture im Sinn von kultureller Übersetzung aufgegriffen. Dieser Workshop wird sie erneut stellen und auf die Wirksamkeit der Postcolonial Studies richten: Wie und in welcher Hinsicht können wir von “postcolonial Europe” sprechen? Was hieße es, Amerika in transnationaler Perspektive in den Blick zu nehmen? Was für historische, was für transkulturelle Übersetzungen sind sinnvoll? Wie wäre eine postkoloniale Altertumsforschung oder Skandinavienforschung zu denken und was könnte sie leisten? Mit der Inventur bestehender Konzepte lädt der Workshop also dazu ein, Inventionen zu riskieren und auf diese Weise zu erkunden, was sich mit Postcolonial Studies heute anfangen lässt.

Tobias Döring, Annegret Heitmann, Martin Hose